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Interview MedtecLIVE 2024

Interview zu Strafzöllen: „Es empfiehlt sich, die Diversifikation von Märkten und Lieferketten zu prüfen“

Die US-Regierung hat die Einfuhrzölle auf chinesische Produkte in die USA deutlich erhöht. Die Strafzölle betreffen neben Elektroautos auch medizinische Artikel. Wir sprachen mit Jörg Mayer, Geschäftsführer beim Industrieverband Spectaris, über Auswirkungen für die Medizintechnikbranche in Europa.

Herr Mayer, die US-Regierung hat die Einfuhrzölle für chinesische Produkte erhöht. Da könnte man in Europa zunächst einmal mit den Schultern zucken. Warum kann das Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft haben?

Jörg Mayer: Die neuen US-Einfuhrzölle auf chinesische Produkte können erhebliche Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft haben, da sie aufgrund der Überkapazitäten Chinas zu einer Übersättigung des europäischen Marktes führen könnten. Außerdem können US-Zölle auf chinesische Importe die Kosten für diese Waren in den USA erhöhen und somit indirekt die Produktionskosten für europäische Unternehmen steigern, die in transatlantischen Lieferketten involviert sind. Zum Beispiel beim Bezug von Waren aus den USA, die chinesische, strafbezollte Komponenten enthalten. Die allgemeine Unsicherheit und mögliche Vergeltungsmaßnahmen Chinas könnten europäische Interessen weiter beeinträchtigen und zu einer Destabilisierung der Wirtschaftsbeziehungen führen.

Medial standen Zölle für chinesische E-Autos im Mittelpunkt. Aber offenbar sind auch Medizinprodukte betroffen. Um welche geht es und wie stark steigen die Zölle? 

Jörg Mayer: Neben Elektroautos sind auch die folgenden Medizinprodukte im Visier: Kanülen sind mit einem neuen Strafzoll von 50 Prozent, Schutzmasken mit 25 Prozent anstelle von 7,5 Prozent und medizinische Handschuhe mit 25 Prozent anstatt von 7,5 Prozent in 2026 von den neuen Zöllen betroffen. Dies kann die Kosten für diese Produkte erheblich steigern und führt zu Herausforderungen für europäische Unternehmen in der Medizintechnikbranche, die nun höhere Einkaufspreise und eine mögliche Verteuerung ihrer eigenen Produkte hinnehmen müssen.

 

Welche Auswirkungen erwarten Sie kurz- und mittelfristig? Sehen Sie Handlungsbedarf seitens der Bundesregierung bzw. der EU?

Jörg Mayer: Kurzfristig erwarten wir eine Destabilisierung der Handelsbeziehungen, einen verschärften Wettbewerb und Preiskampf. Mittelfristig könnte eine Neuausrichtung globaler Handelsströme nötig werden, was die EU und die Bundesregierung zu aktiven Schritten bewegen sollte, um die Interessen europäischer Unternehmen zu schützen. Es ist auch wichtig, betroffene Branchen zu unterstützen und Investitionen in Forschung zu fördern, um die Abhängigkeit von Importen zu reduzieren.

 

Was können Sie als Verband tun? Und was empfehlen Sie Mitgliedsunternehmen in diesem Zusammenhang?

Jörg Mayer: Als Verband können wir versuchen, politisch Einfluss zu nehmen, unsere Mitglieder über Veränderungen informieren und sie bei der Anpassung an neue Handelsbedingungen unterstützen. Es empfiehlt sich, die Diversifikation von Märkten und Lieferketten zu prüfen und internationale Kooperationen zu stärken, um Handelshemmnisse zu minimieren und den freien Handel zu fördern.

 

Welche Rolle spielt China eigentlich für den Export unserer heimischen Medtech-Hersteller? Sind die chinesischen Handelspraktiken auch hier unfair, wie gesagt wird?

Jörg Mayer: China ist nach wie vor einer der wichtigsten Exportmärkte für die deutsche Medizintechnikindustrie mit einem Wert an Exporten von rund 2,37 Milliarden Euro in 2023. Allerdings sind die Aussichten getrübt, da China die eigene Industrie sehr stark fördert und für europäische Wettbewerber kein Level-Playing-Field vorhanden ist, wie auch eine Studie zur staatlichen Unterstützung in Chinas MedTech-Branche von Merics aus November 2023 bestätigt. Chinesische Bestrebungen zur Unabhängigkeit in der Medizintechnik werden als strategisch betrachtet, was zu strukturellen Nachteilen für nicht-einheimische Hersteller führt. Die Herausforderungen umfassen "Bulk-Buying", Lokalisierungsdruck, Subventionen und regulatorische Hürden.

 

Vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person

Jörg Mayer (Jahrgang 1972), studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (Diplom) und Musik, Hauptfach Klavier (Vordiplom), an der Universität der Künste in Berlin. Nach dem Berufseinstieg bei einem Consultingunternehmen übernahm Mayer Leitungsaufgaben bei verschiedenen Agenturen und war Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft. Seit 2018 ist er Geschäftsführer beim Deutschen Industrieverband Spectaris. Dieser setzt sich für die Interessen von 400 Mitgliedsunternehmen in den Branchen Augenoptik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik ein, die rund 350.000 Menschen beschäftigen.

 

 

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