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KI in der medizinischen Bildgebung: Vom Forschungsobjekt zum omnipräsenten Helfer

Der Praxiseinsatz Künstlicher Intelligenz in der medizinischen Bildgebung schreitet voran: Was bisher vor allem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung war, findet nun den Weg in die tägliche Routine – im Krankenhaus, aber auch verstärkt beim niedergelassenen Radiologen. Der Bedarf ist enorm.

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Nürnberg, Deutschland

Weltweit steigt die Lebenserwartung: Bis 2050 soll sich die Zahl der über 60-Jährigen laut WHO auf 2,1 Milliarden verdoppeln. Damit wächst der Versorgungsbedarf bei der Behandlung von Krankheiten wie Krebs und Osteoporose, gleichzeitig aber auch die Nachfrage nach medizinischer Bildgebung. Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT), Ultraschall, aber auch das gute alte Röntgen gehören zu den unverzichtbaren Werkzeugen der Diagnostik.

Laut Statistik wurden 2021 in Deutschland 125 Millionen Röntgenuntersuchungen sowie jeweils rund 13,5 Millionen CT- und MRT-Scans durchgeführt. Nach Erkenntnissen der OECD gibt es jedoch viel zu wenige Fachkräfte, um alle die dabei produzierten Daten auszuwerten. Außerdem können unter Zeitdruck Fehler passieren – ihre Zahl wird weltweit auf mehrere Millionen jährlich geschätzt.

Weniger Fehler, genauere Diagnosen

Beim Versuch, das medizinische Personal zu entlasten, kann Künstliche Intelligenz wertvolle Dienste leisten: „Die meisten medizinischen Bilder sind extrem datenintensiv und es ist sehr zeitaufwendig, alle Bereiche eines Bildes manuell zu überprüfen. Einem Menschen kann es auch leicht passieren, Informationen eines Bildes zu übersehen. Die KI hilft, die Analysezeit zu verkürzen und unterstützt den Arzt dabei, sich auf die wichtigsten Teile eines Bildes zu konzentrieren“, sagt Dr. Katherine Fitch vom Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS in München. Zusammen mit ihrem Team entwickelt die Abteilungsleiterin Trustworthy Digital Health erklärbare, robuste und unvoreingenommene KI-Modelle für das Gesundheitswesen.

Aber es geht nicht allein um das Vermeiden von Fehlern. Unbestritten ist, dass KI die Qualität der Untersuchungsergebnisse auf ein neues Niveau heben kann. Katherine Fitch: „KI kann bei Aufgaben, die die Charakterisierung eines Bildes beinhalten, eine höhere Genauigkeit erzielen, zum Beispiel bei der Frage, wie groß der linke Vorhof des Herzens ist. Dies ist sehr wichtig für genauere Diagnosen und Behandlungsentscheidungen.“

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Katherine Fitch, Fraunhofer IKS © Fraunhofer IKS

Vielzahl von Projekten

Begünstigt durch die exponentiell steigende Rechenleistung von Computern sind Forscher und Forscherinnen wie Fitch an vielen Orten dabei, herauszufinden, wie KI für die Bildgebung nutzbar gemacht werden kann. Fortschrittliche Algorithmen und neuronale Netze, entwickelt und trainiert nach den Methoden des Deep Learning und unter Verwendung einer großen Zahl von medizinischen Bilddaten, analysieren mit einer Genauigkeit, die das menschliche Auge übertrifft. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Projekten im klinischen Bereich, die große Hoffnungen geweckt haben.

Um einige Beispiele zu nennen: 

  • Im Projekt MIDAS erforscht die Universität Tübingen bildgebende Anwendungen und Computertechnologien, die zuverlässige, erklärbare und für den Menschen interpretierbare Lösungen für die Integration von KI in die klinische Praxis ermöglichen und patientenzentrierte Arbeitsabläufe für Diagnose und Behandlung von neurologischen, kardiovaskulären und onkologischen Patienten bieten.
  • Aus einer Zusammenarbeit von Ludwig-Maximilians-Universität München, TU Berlin und Charité entstand 2024 ein neues KI-Tool, das anhand von Bildgebungsdaten auch weniger häufige Krankheiten im Magen-Darm-Trakt erkennen kann, ohne dass es für diese selteneren Fälle spezifisch trainiert werden muss.
  • Forschenden der TU Graz ist es im letzten Jahr gelungen, mithilfe raffiniert trainierter neuronaler Netze, aus nur wenigen MRT-Messdaten präzise Echtzeitbilder des schlagenden Herzens zu erzeugen. Die Methode kann künftig MRT-Anwendungen schneller und damit günstiger machen.

Dennoch verlief der Fortschritt im klinischen Alltag von Krankenhäusern und Praxen durch KI bisher vergleichsweise stockend, was nicht zuletzt an der Verfügbarkeit von Patientendaten zu Trainingszwecken liegt. Da diese hochsensibel und besonders schützenswert sind, ist der Zugriff auf sie eingeschränkt und nur unter strikten Auflagen möglich. 

KI auf dem Weg in die Praxen

Doch was lange auf Forschungsprojekte beschränkt war, ist jetzt auf dem besten Weg zu einem breiten Einsatz im Gesundheitswesen und damit auch in den geschätzt 2000 radiologischen Praxen in Deutschland. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Erkenntnisse, die mithilfe von KI generiert werden, auch entsprechend honoriert werden. Zwei Möglichkeiten kommen dafür in Betracht: Die Krankenkassen erstatten die zusätzliche Leistung („Reimbursement“), oder sie wird den Patienten als „individuelle Gesundheitsleitung“ (IGeL) angeboten. 

Die erste Voraussetzung scheint nun geschaffen zu werden: Erst Ende November 2024 gab die IKK Südwest bekannt, einen „Meilenstein“ bei der Integration von KI-Technologie in die Gesundheitssysteme zu setzen. Sie schloss mit dem Start-up Contextflow eine Erstattungsvereinbarung. Das Wiener Unternehmen hat eine KI-basierte Software entwickelt, die es Radiologen ermöglichen soll, Lungenkrebs bis zu einem Jahr früher und mit deutlich höherer Genauigkeit zu erkennen. Dies könnte dazu beitragen, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken.

Vollautomatische Bewertung der Knochengesundheit

Eine andere „Volkskrankheit“, die wegen der bestehenden diagnostischen Lücke hohe Kosten im Gesundheitssystem verursacht, ist die Osteoporose. Jede dritte Frau und jeder fünfte Mann erleidet im Laufe des Lebens eine teils lebensbedrohliche osteoporotische Fraktur. Mehr als zwei Drittel der Patienten, die nach den aktuellen Osteoporose-Leitlinien behandelt werden sollten, erhalten in Deutschland nicht die angemessene Behandlung. 

Dieses Problem adressiert Bonescreen. Das Münchner Start-up hat eine KI-basierte Technologie zur Unterstützung von Radiologen und Klinikern bei der Bewertung der Knochengesundheit entwickelt. „Unser Produkt nutzt künstliche Intelligenz, um bestehende CT-Scans, die in der klinischen Routine ohnehin gemacht werden, vollautomatisch zur Bewertung der Knochengesundheit zu verwenden und damit ressourcenschonend Informationen zu extrahieren, ohne die Infrastruktur oder die Arbeitsabläufe zu verändern, um damit Knochenverlust in der Bevölkerung vorzubeugen“, erklärt Dr. Sebastian Rühling, Mitgründer und Chief Medical Officer von Bonescreen. 

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Sebastian Rühling, Bonescreen © TU München

Evidenz soll Kassen überzeugen

Die Funktionsweise seiner Technologie: Die im CT für das menschliche Auge eigentlich unsichtbare Knochendichte wird von der KI quantifiziert und zusätzlich in einer farbigen Heatmap dargestellt. Diese Visualisierung macht auch subtile Unterschiede erkennbar und ermöglicht so den Radiologen eine objektive Beurteilung der Knochendichte. Bereits bestehende Knochenbrüche, die teils unbemerkt und still abgelaufen sind, werden erkannt.

Noch im Frühjahr 2025 erwartet Sebastian Rühling die CE-Zertifizierung. Danach soll das Verfahren, das bisher vor allem in klinischen Forschungsgruppen genutzt wird, im Markt ausgerollt werden – vor allem in den Praxen niedergelassener Radiologen, zunächst als IGeL, mittelfristig wird ein Reimbursement durch die Kassen angestrebt. Sebastian Rühling: „Wir glauben, dass wir die Stakeholder im Gesundheitswesen von der Evidenz überzeugen können und damit eine Erstattung durch die Krankenkassen ermöglichen. Wir wollen beweisen, dass es für das Gesundheitswesen günstiger ist, für ein paar Euro die Knochendichte mitzumessen, als die Folgekosten zu tragen. Unser Fokus liegt darauf, den Nutzen für Anwender, Patienten und auch die Gesellschaft kontinuierlich zu steigern. Wir haben deshalb insbesondere Wert auf eine breite Datenbasis gelegt, um sicherzustellen, dass die Modelle nicht nur in einem kleinen spezifischen Kollektiv funktionieren, sondern wirklich in Krankenhäusern und Praxen und dass man da zum Beispiel jeden Scanner verwenden kann, der aktuell auf dem Markt ist.“

Contextflow und Bonescreen sind nicht die einzigen Unternehmen, die jetzt an den Start gehen. Weitere Start-ups, die aus dem universitären Umfeld heraus entstanden sind, schicken sich an, den Radiologiemarkt zu erobern. 

Gerätehersteller beschreiten neue Wege

Dort bereits zuhause sind die Hersteller der bildgebenden Geräte. Auch sie setzen auf Künstliche Intelligenz und statten ihre Scanner damit aus. „Im Bereich der MR-Bildgebung ist es uns gelungen, Untersuchungszeiten durch KI-gestützte Bildrekonstruktion um fast 80 Prozent zu beschleunigen. Eine Knieuntersuchung, die auf einem 3-Tesla-Gerät vorher 10 Minuten gedauert hat, ist so nun in zwei Minuten möglich. Das ist angenehmer für die Patientinnen und Patienten und bedeutet auch, dass mehr Untersuchungen in der bestehenden Zeit durchgeführt werden können, berichtet Tobias Heimann, Head of Artificial Intelligence Germany bei Siemens Healthineers.

Ein weiterer Weg, den die Hardware-Hersteller beschreiten, zielt auf die fortschreitende Miniaturisierung ihrer Geräte. Auch dort leistet Healthineers seinen Beitrag: „Nehmen wir das Beispiel MRT. Bislang hatte gut die Hälfte der Menschheit keinen Zugang zu dieser Technologie. Uns ist es gelungen, ein Gerät zu entwickeln, das kleiner und kompakter und unabhängig von der seltenen Ressource Helium ist. Damit kann es auch dort zum Einsatz kommen, wo das vorher nicht der Fall war, zum Beispiel weil es kein flüssiges Helium zur Magnetkühlung gab oder weil bisherige Geräte einfach zu groß und zu schwer für eine Installation waren“, so Tobias Heimann. Ein anderes Beispiel für den Trend zur Miniaturisierung ist ein CT-Gerät, das für den Einsatz in speziellen Krankenwagen, sogenannten Mobilen Schlaganfalleinheiten, entwickelt worden ist. Tobias Heimann: „Es ermöglicht eine genaue Diagnose noch im Krankenwagen, in der Qualität, wie wir sie sonst nur von stationären Geräten kennen. So können Patientinnen und Patienten schneller die richtige Behandlung bekommen und es geht keine wertvolle Zeit verloren, was bei Schlaganfall entscheidend ist.“

Tobias Heimann

Tobias Heimann, Siemens Healthineers © TU München

Sprachmodelle optimieren den Workflow

Die Verbesserung der Arbeitsabläufe in Kliniken und Praxen ist ein weiteres Ziel des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz, das in den kommenden Jahren große Bedeutung erlangen kann. Wenn KI bei der optimierten Nutzung der knappen Ressourcen unterstützt, kann die Akzeptanz beim medizinischen Personal weiter erhöht werden, wie Dr. Sebastian Bickelhaupt, Radiologe und Clinician Scientist im Radiologischen Institut am Universitätsklinikum Erlangen, verdeutlicht: „Unter dem breiten Spektrum möglicher Einsatzgebiete der künstlichen Intelligenz in der radiologischen Bildgebung sehen wir ein großes Potential in der Unterstützung der radiologischen Workflows in der Klinik und Praxis. Dies kann zum Beispiel KI-basierte Beschleunigungen der Bildakquise, die Unterstützung in der Untersuchungsdurchführung und die Prä-Stratifizierung und automatische Qualitätskontrolle der Bilddaten beinhalten.“ 

Ebenso könnten Weiterentwicklungen von Sprachmodellen (LLM) eine Rolle in der Radiologie spielen, so Sebastian Bickelhaupt, „zum Beispiel, um Befunde zu strukturieren und wichtige Informationen für die Befundung automatisch zusammenzutragen – unter der Anforderung, dass die regulatorischen Vorgaben unter anderem zum Datenschutz und Datensicherheit in der medizinischen Versorgung sichergestellt werden."

Sebastian Bickelhaupt

Dr. Sebastian Bickelhaupt , Radiologischen Institut am Universitätsklinikum Erlangen ©Dr. Sebastian Bickelhaupt

Weitere Anwendungen für generative KI

In Richtung generative KI wird offenbar auch bei Healthineers gedacht. Als mögliche Anwendungsbereiche von Large Language Models und der ihnen zugrundeliegenden Technologie, der sogenannten „Foundation Modelle“, sieht man dort die Datenaufbereitung, die Scan-Optimierung, die Befundunterstützung und eine bessere Patientenkommunikation. Tobias Heimann sagt: „Bisher auf dem Markt erhältliche KI-Lösungen sind im Allgemeinen auf klar definierte Aufgaben ausgerichtet, etwa die automatische Erkennung einer bestimmten anatomischen Struktur oder Pathologie, und wurden auch speziell dafür erstellt. Dies erfordert eine große Menge an Trainingsdaten, die sorgfältig von Hand vorbereitet werden müssen. Foundation Modelle können ohne diese aufwändigen manuellen Annotationen trainiert werden und dann als Grundlage für eine große Menge von unterschiedlichen Aufgaben dienen. Das ist einer der großen technologischen Trends, gerade auch dann, wenn multi-modale Daten wie Bilder und Text gemeinsam zum Einsatz kommen.“

Dass sich interessante Anwendungsmöglichkeiten für generative KI in der Bildgebung ergeben werden, bestätigt Katherine Fitch von Fraunhofer: „Es ist heute ein Problem, genügend Daten für das Training von KI-Modellen zu sammeln. Dabei könnte generative KI wirklich helfen. Sie kann auch für die Bereitstellung von textbasierten Kommentaren zu medizinischen Bildern verwendet werden.“ Dabei wird es allerdings darauf ankommen, sie so sicher wie möglich auszugestalten: „In einer sensiblen Anwendung wie dem Gesundheitswesen ist es sehr wichtig, dass wir den Entscheidungsprozess eines Modells verstehen können. Entscheidungen sollten auf der Grundlage wichtiger Merkmale und nicht zufälliger Korrelationen getroffen werden. Nur so kann ein Arzt die KI-Empfehlungen effektiv auswerten, um den Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen“, gibt Katherine Fitch zu bedenken.

Die Fortschritte in der Bildgebungstechnologie, möglich gemacht durch KI, bedeuten eine Transformation der medizinischen Diagnostik. Diese Technologien bieten die Möglichkeit, Diagnosen präziser, schneller und kosteneffizienter zu gestalten. Gleichzeitig entlasten sie das medizinische Personal und verbessern die Patientenversorgung. 

MedtecSUMMIT thematisiert den Einsatz von KI

MedtecLIVE, die europäische Leitmesse für die Entwicklung und Herstellung von Medizintechnik, gibt Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette eine Bühne, ihre neuesten Entwicklungen in diesem Bereich einem interessierten Fachpublikum zu präsentieren. Die MedtecLIVE ist Teil einer Brand Family, die der Branche mehr als nur eine Messe bietet und sie durch ihr vielfältiges Angebot sowie ihr starkes Netzwerk und ihre Partner unterstützt, die Medizintechnik voranzutreiben. Dadurch entstehen gleich mehrere Plattformen an den Standorten Stuttgart, Nürnberg und München, auf denen die Akteure der Branche passgenau ihre Zielgruppe treffen.

„In einer sich stetig weiterentwickelnden Welt ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir die neuesten Fortschritte beleuchten. Die nächste Gelegenheit, um Innovationen, Produkte und Dienstleistungen zu zeigen, wertvolle Impulse zu erhalten und Kooperationen anzubahnen, bietet unsere Fachausstellung Innovation Expo im Rahmen des MedtecSUMMIT in Nürnberg vom 18. bis 19. Februar“, sagt Silke Ludwig, Deputy Director MedtecLIVE. Der Summit widmet sich den Themen klinische Robotik, digitale Gesundheitsanwendungen, Nutzung von Gesundheitsdaten, Innovationen bei nachhaltigen Materialien und Anwendung intelligenter Implantate. In einem eigenen Themenschwerpunkt geht es um die Frage, wie Künstliche Intelligenz Diagnose, Therapie und Nachsorge durch Datenanalyse verbessern kann. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis und Industrie geben Antwort.

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Silke Ludwig, MedtecLIVE © NürnbergMesse

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Jens Fuderholz / Christina Freund

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