Interview MedtecLIVE 2024

Interview zum PFAS-Verbot: „Firmen und Verbände sollten sich an der Konsultation beteiligen“

PFAS sind für die Medizintechnik wegen ihrer Biokompatibilität und Langlebigkeit häufig unverzichtbar. Das geplante Verbot stellt die Branche vor Probleme. Wir haben die Situation zum Anlass genommen, um bei Frauke Averbeck von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin nachzufragen.

Die Branchenverbände schlagen Alarm, erst recht seit die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) im Februar ihren Vorschlag für ein Verbot der Herstellung, der Verwendung und des Inverkehrbringens von rund 10.000 Per- und Polyfluoralkylsubstanzen veröffentlichte. BVMed und Spectaris appellieren an die deutsche Gesundheitspolitik, sich in das Verfahren auf EU-Ebene einzuschalten und pauschale Regelungen für ganze Stoffgruppen zu verhindern. Wir wollten von BAuA-Expertin Frauke Averbeck wissen, ob sie die Aufregung nachvollziehen kann, und was Verbände und Unternehmen in dieser Situation tun können.


Frau Averbeck, die EU-Kommission plant ein weitreichendes Verbot von PFAS. In der Medizintechnik gelten sie aktuell allerdings als unverzichtbar. Wird hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, weil die Patientensicherheit in Gefahr gerät?

Frauke Averbeck: Derzeit handelt es sich um einen Beschränkungsvorschlag, der gemeinsam von den fünf Ländern Deutschland, Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen bei der ECHA eingereicht wurde. Dieser sieht in der Tat ein weitreichendes Verbot der Herstellung und Verwendung von PFAS vor, lässt aber für gesellschaftlich unverzichtbare Verwendungen, für die es derzeit noch keine Alternativen gibt, zeitlich befristete Ausnahmen zu.

Bei der Beurteilung, welche Verwendungen gesellschaftlich unverzichtbar sind, spielt auch die Patientensicherheit eine Rolle. Momentan läuft eine öffentliche Konsultation zu diesem Vorschlag und es findet eine wissenschaftliche Bewertung des Vorschlags durch zwei bei der ECHA angesiedelte Ausschüsse statt, den Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) und den Ausschuss für sozioökonomische Analyse (SEAC). Erst danach trifft die Europäische Kommission basierend auf allen vorgelegten Informationen und in Zusammenarbeit mit Vertretern aller EU-Mitgliedstaaten eine Entscheidung.
 

Bis jetzt befinden sich PFAS in unterschiedlichen Medizinprodukten wie beispielsweise in Implantaten. © Envato Elements

Muss es nicht Ausnahmen geben? Welche könnten das sein? 

Frauke Averbeck: Der vorgelegte Beschränkungsvorschlag sieht bereits einige Ausnahmen vor, zum Beispiel für implantierbare Medizinprodukte wie beispielsweise Herzschrittmacher. Darüber hinaus wurden bei der Ausarbeitung des Vorschlags Anwendungen im Bereich der Medizinprodukte identifiziert, für die möglicherweise eine Ausnahme gerechtfertigt sein könnte, die sogenannte „potenzielle Ausnahme“, für die aber bislang nicht ausreichend Informationen vorgelegt wurden, um diese zu begründen. Hier geht es zum Beispiel um Produkte für die Wundbehandlung oder harte, gasdurchlässige Kontaktlinsen.

Informationen hierzu sollen im Rahmen der Konsultation vorgelegt werden. Darüber hinaus steht es Unternehmen und Verbänden natürlich frei, auch andere, aus ihrer Sicht wichtige Anwendungsbereiche für Ausnahmen vorzuschlagen.
 
Betroffene Firmen, Verbände und andere Stakeholder sollten sich mit ihren Informationen an dieser Konsultation beteiligen und möglichst plausibel und nachvollziehbar darlegen, in welchen Verwendungsbereichen nicht auf PFAS verzichtet werden kann.


Betroffene Firmen, Verbände und andere Stakeholder sollten sich mit ihren Informationen an dieser Konsultation beteiligen und möglichst plausibel und nachvollziehbar darlegen, in welchen Verwendungsbereichen nicht auf PFAS verzichtet werden kann.

Frauke Averbeck, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)


Könnte die Kunststoff- bzw. die Medizintechnikbranche aus Ihrer Sicht mehr tun, um eine drohende Krise wegen fehlender Alternativen zu vermeiden?

Frauke Averbeck: Bis zum 25. September 2023 läuft noch die öffentliche Konsultation zu dem vorgelegten Beschränkungsvorschlag. Betroffene Firmen, Verbände und andere Stakeholder sollten sich mit ihren Informationen an dieser Konsultation beteiligen und möglichst plausibel und nachvollziehbar darlegen, in welchen Verwendungsbereichen nicht auf PFAS verzichtet werden kann. 

Dabei sollten auch Angaben dazu gemacht werden, welche PFAS in welchen Mengen und Konzentrationen verwendet werden, was ihre Funktion ist, warum sie nach Meinung der Unternehmen bzw. Verbände unverzichtbar sind – also auf die Frage eingehen, was die Konsequenz wäre, wenn PFAS für die Anwendung nicht mehr zur Verfügung stünden – und welche Anstrengungen in der Vergangenheit bereits unternommen wurden, um PFAS zu ersetzen. 


Zur Person

Dr. Frauke Averbeck ist Chemikerin und hat 2005 an der Georg-August-Universität zu Göttingen promoviert. Seit 2008 ist sie bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Fachbereich 5 tätig, der Bundesstelle für Chemikalien (BfC). Die BfC ist nach dem deutschen Chemikaliengesetz die Behörde, die für die Umsetzung der REACH-Verordnung in der Bundesrepublik zuständig ist. In der Gruppe „Chemikalienbewertung und Risikomanagement“ koordiniert Dr. Averbeck unter anderem die nationalen Aktivitäten sowie die gemeinsame Arbeit der beteiligten Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen des PFAS-Beschränkungsvorhabens.