Best practice MedtecLIVE 2024

Serie Start-ups: Mit Biokunststoff an die Weltmarktspitze?

Nachhaltigkeit in der Medizintechnik ist wichtiger denn je. Biovox aus Darmstadt hat den richtigen Zeitpunkt erwischt. Das Start-up ist der erste Anbieter für recyclebare Bio-Kunststoffe, die für die Medizintechnik zugelassen sind. In unserer Serie über junge Unternehmen stellen wir Biovox vor.

Am Anfang war der Plan ein anderer: Eigentlich wollte das Gründerteam Kunststoff-Implantate entwickeln, die sich im Körper abbauen und so manche OP zur Entnahme überflüssig machen. „Aber dann haben wir festgestellt, dass wir auf der einen Seite einen extrem hohen Kapitalbedarf, unter anderem für die klinischen Studien am Patienten, hätten. Auf der anderen Seite können wir mit ganz ähnlichen Biokunststoffen einen riesigen positiven Impact für die Umwelt, auch im Krankenhaus, schaffen“, erinnert sich COO Carmen Rommel an die Anfangszeit. Statt implantierbaren Materialien wandte man sich nun der Entwicklung von Kunststoffgranulaten aus nachwachsenden Rohstoffen zu, die MedTech-Firmen für die Produktion von OP-Bestecken, Endoskopen, Verpackungen und anderen Einwegprodukten verwenden können.

Mit Unterstützung der TU Darmstadt, wo sie Maschinenbau studiert haben, bewarben sich die Mitglieder des Gründungsteams 2020 erfolgreich um das Hessen Ideen Stipendium und das Exist Stipendium, Förderprogramme des Landes Hessen und des Bundes für Absolventen, die eine innovative Geschäftsidee verfolgen. In dieser Zeit fand sich das Team in der heutigen Zusammensetzung zusammen: Carmen Rommel, Julian Lotz und Vinzenz Nienhaus, der als dritter im Bund im Mai 2020 ins Team kam. Seit Ende 2021 ist Biovox mit Business Angels und Venture Capital finanziert, die unter anderem hinsichtlich Unternehmensgründung und -aufbau Erfahrung mitbringen.

Zuckerrohr als Grundlage

Auf der Basis vieler Gespräche mit Marktteilnehmern aus Kliniken und Medtech-Herstellern wurde in weniger als drei Jahren aus der Idee das finale Business-Modell formuliert und zur Marktreife gebracht. Dabei ging es nicht zuletzt darum, den Bedarf und das Abfallbeseitigungssystem in den Krankenhäusern zu verstehen, wo ein großer Teil des verwendeten Plastiks – alles, was Patientenkontakt hatte – immer noch als Sondermüll verbrannt wird. 

Heute kann Biovox seinen Kunden bereits rund zehn verschiedene Granulate anbieten, die sich je nach Verwendungszweck hinsichtlich wichtiger Eigenschaften wie Steifigkeit, Wärmebeständigkeit und Oberflächenhärte unterscheiden. Sie aber haben eines gemeinsam: Sie werden aus bio-basierten Rohstoffen hergestellt, zum Beispiel Zuckerrohr, und sparen dadurch bis zu 85 Prozent CO2-Äquivalente ein. „Kunststoff kann man sich vorstellen wie eine Backmischung. Da sind das Polymer als Hauptzutat sowie Additive und Füllstoffe, um die Eigenschaften einzustellen und ihn besser verarbeitbar zu machen. Welche das sind und wie viel davon – diese Formulierung machen wir auch“, erklärt Carmen Rommel die Leistung des Start-ups. Seine Grundstoffe bezieht es von Lieferanten aus Europa und Asien, produziert wird in Deutschland von einem beauftragten Unternehmen. 

Team von BIOVOX auf einer Messe in Friedrichshafen

Julian Lotz und Carmen Rommel präsentieren ihre Lösung auf einer Messe.

Für alle Produkte muss zudem durch Einhaltung von ISO-Standards nachgewiesen werden, dass sie für den Einsatz im Gesundheitswesen geeignet sind. Unter anderem erst durch aufwändige Testverfahren wird aus Biokunststoff ein für die Medizintechnik freigegebener Werkstoff. Dazu wurde bei Biovox eine Medizintechnikerin eingestellt. „Auch unser Qualitätsmanagementsystem macht uns einzigartig. Wir sind der einzige Biokunststoff-Compoundeur, der diese Zertifizierung hat“, freut sich Rommel.

Kleiner Stand, große Namen

Die MedtecLIVE with T4M in Stuttgart war 2022 die erste Messe, auf der Biovox mit einem kleinen Stand vertreten war. „Und es war richtig cool. Da sind zu uns große Namen aus der Medizinbranche gekommen und haben gesagt, wir würden gerne unsere Produkte nachhaltiger machen. Aber es gibt sonst nichts am Markt, was nachhaltig und sicher ist“, erinnert sich Rommel. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Nachhaltigkeits-Transformation der Medizintechnik und in der Gesundheitsbranche insgesamt schon Fahrt aufgenommen. 

Nachhaltig und sicher, das sind die Kunststoffe aus Darmstadt. „Wir haben einen sehr guten Product Market Fit gefunden. Das Problem ist erkannt, unsere Lösung passt dazu und der Zeitpunkt stimmt auch“, freut sich die COO. 

Derzeit sitzen die Biovox-Kunden, unter ihnen prominente Namen wie B. Braun in Melsungen, primär im DACH-Raum, wo es besonders viele Medtech-Firmen gibt. Verträge mit weiteren Kunden stehen kurz vor der Unterschrift, sagt sie. Perspektivisch will sich das Start-up global aufstellen. Deshalb ist es auch beschlossene Sache, einen Head of Sales einzustellen, der ein Vertriebsteam aufbauen soll – eine Funktion, die bisher von den Foundern selbst wahrgenommen wurde. Wohin das führen soll? „An die Weltmarktspitze“, sagt Rommel selbstbewusst. „Wir wollen die Marke für nachhaltige Kunststoffe in der Medizintechnik sein. Auch in Pharmaverpackungen und Labortechnik lassen sich unsere Kunststoffe einsetzen, und diese Märkte beginnen auch gerade, sich mit Nachhaltigkeit stärker zu befassen, und wir wollen hier Lösungen bieten. Das ist ehrgeizig. Aber man muss ja auch ehrgeizige Ziele setzen, sonst kommt man ja nirgendwo hin.“

Schließen des Kreislaufs

Ein besonderes Anliegen ist den Biovox-Gründern, dass möglichst bald der Recycling-Kreislauf geschlossen werden kann, dass also benutzte Kunststoffprodukte verstärkt einer Wiederverwertung zugeführt werden. Entweder durch mechanisches Recycling, bei dem der Plastikabfall geschreddert und aufgeschmolzen wird, was in vielen Fällen aber bedeutet, dass die Rohstoffe für den erneuten Einsatz in der Medizintechnik verloren sind. Oder – für anspruchsvolle Anwendungen noch besser – durch chemisches Recycling, bei dem die Polymerketten in ihre Einzelteile aufgespalten, Störstoffe entzogen werden und ein sehr reiner Rohstoff entsteht. Dieses chemische Recycling ist aktuell allerdings noch nicht im industriellen Maßstab umgesetzt.

Auch beim Schließen des Kreislaufs beteiligt sich Biovox aktiv: CEO Julian Lotz ist einer der Köpfe der „Allianz für nachhaltige Medizintechnik“, die 2023 gegründet wurde.

Perfekt wird der Kreislauf nie sein, sodass immer neues Material von außen zugeführt werden muss – vielfach immer noch auf der Basis von Erdöl. Deshalb wäre es besonders wichtig, im Wege staatlicher Regulierung den Einsatz von biobasierten Kunststoffen einzubeziehen. Ein Wunsch, den Carmen Rommel an die Politik hat.


BIOVOX GMBH
Gründungsjahr 2021
Sitz 64293 Darmstadt
Gründer Dr.-Ing. Julian Lotz, Dr.-Ing. Vinzenz Nienhaus, Carmen Rommel
Anzahl Mitarbeiter 7
Website www.biovox.systems